"Luu schämt sich wegen der Missbildungen und geht nirgendwohin", sagt Oanh später, "ich lerne mit ihr jeden Tag nach der Schule in meinem Zimmer und lese mit ihr Zeitungen!" Oanh weiß, dass ihre eigenen Deformationen vergleichsweise harmlos sind. Dass es Tausenden von Kindern noch weit schlechter geht als Luu. "Manche", schrieb der Journalist Minh Chuyen nach einer langen Reise zu den Dioxin-Opfern in den Dörfern des Südens, "haben fast keinen Kopf oder ein Auge im Nacken, den Mund auf den Schultern oder die Haupthaare auf dem Bauch. Sie weinen ihr ganzes Leben und kennen das Lächeln nicht!" Einmal, so Minh Chuyen, habe er einen 16-Jährigen gesehen, der in der Küche seiner Eltern dahinsiechte, nackt in einem Bambuskäfig.
In Vietnam gibt es nach Angaben der VAVN Insgesamt 70000 Kinder, die unter den Spätfolgen von "Agent Orange" leiden. Die meisten sind Kriegskinder wie Oanh, gehören der zweiten Opfer-Generation an. Doch inzwischen ist bereits die Enkelgeneration infiziert. Dioxin-verkrüppelte Babys werden in Vietnam, einem der ärmsten Länder der Welt, häufig einfach ausgesetzt und landen in Waisenhäusern. Im "Mam Nom"-Heim von Ho-Chi-Minh-Stadt, dem früheren Saigon, sind ganze Säle mit solch todgeweihten Kleinkindern gefüllt. Manche haben ballonartige Wasserköpfe, die größer sind als ihr gesamter Körper.
"Der Krieg geht weiter im Blut unserer Kinder", sagt General Vu Vinh, 77. Einst kommandierte er in Hanoi die Vietcong-Flugabwehr gegen die amerikanischen B-52-Bomber, heute kämpft der hoch dekorierte Veteran wortreich um Wiedergutmachung für das "Agent Orange"-Fiasko. Sein armes Land benötigt dringend finanzielle Hilfe für die Dioxin-Opfer, möchte indes, um die erst vor kurzem wieder aufgenommenen Handelsbeziehungen nicht aufs Spiel zu setzen, jede direkte Konfrontation mit den USA vermeiden. Niemand in der sozialistischen Republik will außerdem an die große Glocke hängen, dass Vietnam das am stärksten mit Dioxin verseuchte Land der Welt ist - denn das schadet dem lukrativen Export von Reis und Garnelen, dem Rückgrat der heimischen Wirtschaft.
Noch nie, schimpft der General, habe Pete Peterson, der US-Botschafter in Hanoi, einem Mädchen wie Oanh die Hand gedrückt, geschweige denn eine Spende geschickt. In der Tat verhält sich die in Sachen Menschenrechte und Umweltpolitik sonst so rührige US-Regierung äußerst bockbeinig, wenn es um die Bereinigung der Öko-Katastrophe geht, die ihre Vorgänger angerichtet haben. Man fürchtet Milliardenklagen in mehrstelliger Höhe. Jeder Forderung der Vietnamesen begegnen US-Behörden mit dem Hinweis, die Dioxin-Belastungen müssten zuerst bewiesen werden. Doch weltweit gibt es nur wenige Labors, die in der Lage sind, Dioxin-Tests fachgerecht auszuführen – in Vietnam kein einziges. Zudem sind die Untersuchungen sehr kostspielig: Jede einzelne Boden- oder Gewebeprobe kostet mindestens 1000 Mark - ein Kriegsveteran wie Oanhs Vater muss mit 20 Mark Pension im Monat auskommen.
Wie alarmierend die toxischen Belastungen sind, beweisen jüngste Studien der kanadischen Firma Hatfield. Die Forscher stießen im Aluoi-Tal unweit des 17. Breitengrads auf dermaßen hohe Werte, dass sie zunächst ihren Messgeräten misstrauten. Doch dann stellten sie fest, dass sich am untersuchten Ort einst eine US-Base befunden hatte. Hatfield-Mann David Levy: "Die GIs haben hier vor ihrer Flucht ganze Fässer mit "Agent Orange" weggekippt!" Es beunruhige ihn, dass dies wohl nicht nur im Aluoi-Tal so gehandhabt worden sei, sondern in "Hunderten von Basen quer durch Südvietnam".
Vietnam ist immer noch ein Land der Apokalypse, für Oanh auf jeden Fall. Es ist zwar eher unwahrscheinlich, aber vielleicht schafft sie es ja, ihren Traum zu verwirklichen und Kunst zu studieren. Wünscht sie sich dann auch Kinder? "Daran habe ich noch nie gedacht", sagt sie und fügt nach langer Überlegung hinzu: "Davor habe ich eine Riesenangst."