Hoffnung Oanh, 15, bei einer Untersuchung ihrer Verwachsungen im Nackenbereich. Inzwischen wurde sie operiert. |
Oanh fängt plötzlich an zu lächeln, scheu und unsicher. Noch kann sie nicht richtig begreifen, dass es trotz des lähmenden Gifts, das in ihr steckt, in letzter Zeit aufwärts geht. Noch kann sie kaum glauben, dass sie heute, am 110. Geburtstag des vietnamesischen Übervaters Ho Chi Minh, sogar eine Auszeichnung bekommt.
"Enkelin von Onkel Ho" lautet der Ehrentitel, den das dioxinkranke Mädchen an diesem Tag in Van Canh, einem kleinen Ort nahe der Hauptstadt Hanoi, für seine guten schulischen Leistungen zugesprochen bekommt. In der 29-köpfigen Klasse erhalten diese Belobigung nur zwei weitere Schüler - "normale Kinder", wie Oanh sagt. Zur Gratulation hat sie sich extra hübsch gemacht. Trägt einen langen roten Schal über der frisch gebügelten rosa Bluse, dazu silberne Ohrringe und eine dunkelblaue Schirmmütze, an die sie mit Tesafilm briefmarkengroße Bildchen chinesischer Filmstars geklebt hat.
Oanh ist 15 Jahre alt, in ihrer gesamten Entwicklung jedoch in vielem höchstens auf der Stufe einer Elf- bis Zwölfjährigen. Sie ist in der 5. Klasse und nur 1,38 Meter groß, kann mit ihrer piepsigen Stimme lediglich unter großer Anstrengung sprechen, hat Beine wie eine Achtjährige und einen Oberkörper wie eine erwachsene Frau.
Bis vor kurzem war alles noch viel schlimmer. Da plagte Oanh eine gespenstische Missbildung der Muskeln im Hals-Nacken-Bereich. Ihr Kopf war seit der Geburt wie in Beton eingemauert und ließ sich nicht bewegen. "Wenn ich nach links oder rechts schauen wollte, musste ich immer den ganzen Körper drehen", erklärt das geistig völlig intakte Mädchen. Kein Schal oder Rollkragen-Pulli konnte "die hässlichen, steinharten Dinger da oben" verdecken.
Mit Grauen denkt Oanh an ihre frühe Kindheit. An die ständigen Halsschmerzen und Herzprobleme, die inzwischen mit Hilfe von Medikamenten ausgeschaltet sind. An die bedrückenden Berichte der Eltern über den Befreiungskampf, über das Leben in den engen Tunneln während des "amerikanischen Kriegs". Nichts habe es damals zu essen gegeben. Keinen Reis, kein Salz. Nur Maniokwurzeln und manchmal etwas Fisch. Mama und Papa hätten auch oft erzählt, dass aus den amerikanischen Flugzeugen "milchige Regenschwaden" heruntergekommen und danach überall im Dschungel die Blätter von den Bäumen gefallen seien.