Das Dorf der Freundschaft ist ein internationales Versöhnungsprojekt. Es wurde durch den ehemaligen US-Soldaten George Mizo initiiert. Es bietet Menschen, die unter den Spätfolgen des Vietnamkrieges leiden – geistig und körperlich behinderten Kindern und Jugendlichen sowie Älteren – Hilfe und Unterstützung.

Durch den Agent-Orange-Schmerz habe ich verstanden, wie grausam der Krieg gewesen sein muss

Phuong Hanh, Computerlehrerin des ”Dorfes”, beschreibt in einem Brief an ihre Mutter Eindrücke aus ihrer Arbeit mit den oft körperbehinderten, gehörlosen oder nichtsprechenden SchülerInnen:

“Weißt du Mama, am Anfang dachte ich, es würde nicht einfach für mich werden, Lehrerin für diese Kinder zu sein. Dann müsste ich immer ein ernstes Gesicht machen, mich korrekt benehmen und vieles mehr.

Computerlehrerin Phuong Hanh

Aber seitdem die Kinder mir ihre Herzensgeheimnisse offenbaren, kindliche Fragen stellen und mich mit ihren unerfahrenen Augen ansehen, fühle ich mich so bewegt.

Die Kinder haben mir beigebracht, dass ich leben sollte, wie ich bin, und dass ich nicht nur egoistisch für mich lebe, sondern auch für Andere.

Ich habe verstanden, dass ich, um eine gute Lehrerin zu werden, erst einmal die Rolle eines Freundes, einer Schwester für die Kinder spielen sollte.

Erinnerst du dich noch daran, dass ich Dir schon mal von den beiden Jungen Tung und Bao erzählt habe? Die beiden können zwar nicht sprechen oder hören, sind aber sehr intelligent und empfindsam. Neulich habe ich eine Liste von Kindern erstellt, die fähig sind, Computer zu lernen. Neben den Namen Bao habe ich ein Fragezeichen gesetzt. Vielleicht wusste Bao in diesem Moment noch gar nicht, wozu ich seinen Namen in die Liste geschrieben habe. Er hat sich aber so sehr darüber gefreut, dass er wegrannte, um Tung zu suchen und ihm zu zeigen, dass sein - Baos - Name in der Liste war.

Ich blickte auf: Freude erschien in Tungs Augen und verschwand schnell wieder. Er starrte mich an. Seine Augen wollten fragen: Lehrerin, warum ist mein Name nicht in der Liste? Seine Frage verwirrte mich. Ich nutzte viel Körpersprache, um zu erklären, aber alles war sinnlos. Er versuchte, mir zu zeigen, was er alles kann, und er meinte, ich glaubte ihm dennoch nicht.

In den nächsten Tagen und Wochen wurde er schweigsamer, balgte sich weniger mit anderen Kindern und wollte sogar mir ausweichen. All das machte mich unruhig. Ich erkannte den Grund, warum Tung traurig war: sein Name war nicht in der Liste. Deshalb dachte er, er sei nicht genauso gut wie Bao.

Du siehst, behinderte Kinder haben auch eine hohe Selbstachtung und vielleicht wollen sie nie, dass sie den anderen Kindern gegenüber im Nachteil sind.

Vor einigen Tagen kam ein Schüler mit traurigem Gesichtausdruck zu mir in die Klasse. Das war Hau, ein Junge mit angeborener Skoliose, aber sehr lernbegierig. Hau gab mir sein Heft und sagte voller Aufregung: Lehrerin, ich möchte nicht mehr mitlernen.

Ich wurde unruhig und fragte mich, woran es liegen möge? Hatte Hau kein Interesse mehr am Computerlernen? Hatte mein Unterricht keine Freude, keine Begeisterung bei den Kindern geweckt? Oder verbargen sich noch andere Gründe dahinter? Ich fragte ihn aus, aber er guckte mich nur an und seine Augen schienen zu weinen. Erst später antwortete er mir: Es liegt nicht daran, dass ich keine Lust mehr habe, Computer zu lernen. Es ist nur, dass ich so müde bin und nicht mitlernen kann. War dieses Lernprogramm zu anstrengend für Hau? Nein, das stimmte sicherlich nicht. Im Unterricht hat Hau seine Aufgaben sehr gut erfüllt, und zu Hause schaffte er sogar mehr als meine Anforderungen. Dann sagte Hau zu mir: Ich habe schon darüber nachgedacht und meine, ich sollte jetzt auf meine Gesundheit achten. Ich fühle mich wohl in der Klasse, aber sehr müde zu Hause. Zurzeit geht es mir nicht so gut, deshalb bekomme ich noch Therapie im Rehabilitationsraum.

Mama, so war das. Weil Hau so schwach war und seine Gesundheit ihm nicht erlaubte, weiter zu lernen. Er hat sich sicherlich viel Mühe gegeben, aber er konnte das nicht schaffen.

Inzwischen ist Hau gestorben und ich fühlte mich sehr traurig. Erst seit ich hier in diesem Dorf arbeite, kann ich verstehen, wie grausam der Krieg gewesen sein muss.

Sein Bild erschien vor mir: ein Schüler, der sich so viel Mühe geben musste, um seinen Körper auf dem Stuhl gerade zu halten. Ein Junge, der beim Vollmondfest gerne ein Foto von sich mit der Sternenlaterne in der Hand machen lassen wollte.

Mehr als ein Mal sagte Hau zu mir: “Kannst du den Ausländer dort fragen, ob er ein Foto von mir machen kann?“ Egal in welcher Körperhaltung und mit welchem Gesichtsausdruck: Hau wollte sich im Bild für jemanden festhalten. Diese Bilder konnten für seine Familie oder für seine Freunde sein. Oder für ihn selbst, damit er sich ab und zu auf dem Foto anschauen konnte.

Alles kehrte zurück in mir. Hätte es keinen Krieg gegeben, hätten Kinder wie Tung, Bao, Hau, Tra oder Giang eines Tages Ingenieure, begabte Musiker, Lehrer oder Ärzte werden können.

Im ”Dorf der Freundschaft” habe ich ganz viele Menschen getroffen, die den Krieg erlebt haben, und auch solche, die noch nie vom Krieg gehört haben. Aber alle kommen zu den Kindern im Dorf, um Schmerzen und Verluste, die die Kinder und ihre Familien bis heute tragen und erleiden müssen, zu teilen. Auch ich: Ich möchte mit den Kindern deren Schmerz teilen.”