Das Dorf der Freundschaft ist ein internationales Versöhnungsprojekt. Es wurde durch den ehemaligen US-Soldaten George Mizo initiiert. Es bietet Menschen, die unter den Spätfolgen des Vietnamkrieges leiden – geistig und körperlich behinderten Kindern und Jugendlichen sowie Älteren – Hilfe und Unterstützung.

Rundbrief Dezember 2007

Liebe Freundinnnen und Freunde,

ein Arbeitstreffen im August in Vietnam, das bedeutet zunächst einmal, bei ungewohnt heißen Temperaturen denk- und arbeitsfähig zu bleiben - aber es bedeutete für mich auch, in meinen Sommerferien etwas mehr Zeit zu haben und ein wenig vom normalen Alltag im “Dorf der Freundschaft” erleben zu dürfen.

Viele kostbare Situationen sind mir im Gedächtnis:

  • die Physiotherapiestunde in der Beratungsstelle des “Dorfes”, zu der der kleine Duc von seinem Großvater auf dem Rücken in den Rehabilitationsraum getragen wurde
  • die wohldurchdachte und kompetente Behandlung, die Thu, die vietnamesische Physiotherapeutin, durchführte. Edith, unsere DED-Fachkraft, die sie ausgebildet hatte, wäre stolz auf sie!
  • der morgendliche “Anmarsch” ganzer Gruppen von freiwilligen Helfern für den Gartenbau - eine bunte internationale Truppe: Kanadier, Koreaner und US-Amerikaner, die dann am Nachmittag und in den Pausen ganz selbstverständlich mit den behinderten Kindern und Jugendlichen des “Dorfes” spielen und mit Händen und Füßen kommunizieren
  • der herzliche Empfang im Haus der Veteranen, die zur medizinischen Behandlung im “Dorf” sind. Wir haben keine gemeinsame Sprache, aber die Blicke und Gesten der Wärme und Dankbarkeit haben sich mir eingeprägt
  • die Freude von John Berlow und seinem Gartenbau-Team darüber, dass der biologische Garten im wahrsten Sinne des Wortes wächst und gedeiht.

Zu unserem Arbeitstermin war Raphael Vahé von unserer französischen Unterstützergruppe angereist. Don Blackburn vom US- Komitee war zur selben Zeit in Vietnam und kam ebenfalls dazu. Der sorgfältig vorbereitete Zwischenbericht des Direktors dokumentierte die bereits erreichten Arbeitsziele unserer letztjährigen Vereinbarungen. Gemeinsam mit Direktor Dung, Vize-Direktor Mam und den Vertretern des Veteranenverbandes versuchten wir, die nächsten Schritte zu planen: der Bau einer biologischen Kläranlage, Schutzmaßnahmen gegen Überflutungen während der Monsunzeit, die inzwischen notwendigen Renovierungen etc.

Rollstuhlreparatur

Und natürlich gab es Planungen zu dem wichtigen Ereignis des kommenden Jahres: im März 2008 wird das “Dorf der Freundschaft” zehn Jahre alt!

20 Jahre sind vergangen, seit George Mizo zum ersten Mal in Vietnam war, erste Kontakte zu unseren jetzigen Partnern in Vietnam geknüpft und erste Schritte der Versöhnung gemacht hat.

Zehn Jahre hat es gebraucht, bis wir so weit waren, die ersten Kinder und Veteranen in das “Dorf der Freundschaft” aufnehmen zu können.

Ein Grund zu feiern im nächsten Jahr! Und ein Grund, Danke zu sagen: Euch und Ihnen allen, die uns über so viele Jahre unterstützt haben und unterstützen! Das “Dorf der Freundschaft” wäre nicht möglich geworden ohne diese Hilfe - Danke!!!

Ihnen und Euch allen ein gutes und gesegnetes Weihnachtsfest und für das kommende Jahr alle guten Wünsche.

Mit herzlichen Friedensgrüßen

Rosemarie Höhn-Mizo


Erfreulicher Besuch im Dorf der Freundschaft

Nach fünfeinhalb Monaten Abwesenheit vom “Dorf der Freundschaft” hatte ich nochmals die Gelegenheit zu einem Kurzzeiteinsatz in Vietnam, finanziert durch den Deutschen Entwicklungsdienst (DED).

Ich kam mit gemischten Gefühlen zurück ins Dorf. Viele Dinge gingen mir durch den Kopf:

 Edith Heinlein (4. v. l.) und Mitarbeiter des “Dorfes” bei einer Schulung von Eltern mit behinderten Kindern
Edith Heinlein (4. v. l.) und Mitarbeiter des “Dorfes” bei einer Schulung von Eltern mit behinderten Kindern
  1. Wie mag die Arbeit der Physiotherapeuten und des Arztes Dr. Dem laufen, nachdem sie so lange Zeit auf sich alleine angewiesen waren?
  2. Wird das, was wir in den letzten zweieinhalb Jahren aufgebaut haben, noch angewendet und fortgeführt?
  3. Kommen regelmäßig neue Kinder in die Beratungsstelle? Hat die Werbung in den umliegenden Gesundheitszentren ausgereicht, um weitere Kinder aus dem Umland zu betreuen?
  4. Wie ist die Zusammenarbeit mit den Health Centers aus der Provinz Ha Tay? Wird es in Zukunft gelingen, dort auch Beratungsstellen aufzubauen?
  5. Was ist aus den Ideen der Verbesserungsmeetings geworden? Konnte das “Dorf” davon einiges umsetzen oder blieb es bei den Vorsätzen?

Mit diesen Gefühlen kam ich am 15.9.07 nach Vietnam. Umso mehr freute ich mich,

  • wie gut die Physiotherapeuten inzwischen behandeln, wie viel Spaß sie bei ihrer Arbeit haben. Welch ein Unterschied im Vergleich zum Beginn meiner Arbeit in Vietnam.
  • dass die Beratungsstelle regelmäßig neue Kinder zu Untersuchung, Beratung und Behandlung aufnimmt. Sie werden inzwischen auch von Eltern aus der Umgebung geschickt, die sich gut im “Dorf” betreut fühlen.
  • dass der Arzt Dr. Dem (Leiter der Beratungsstelle) und die Physiotherapeuten jetzt bereits eigenständige Kurse in den Health Centers von Ha Tay geben. Dies war besonders erfreulich, denn die Schulungen sollten ursprünglich nur vorbereitet werden, um dann später mit meiner Nachfolgerin durchgeführt zu werden.
  • dass wir im “Dorf” eine physiotherapeutische Schulung für Eltern aus dem Umland zum Umgang mit Babys durchführen konnten. Erfreulicherweise nahmen auch drei Väter an dem Kurs teil.
  • dass Elisabeth Dabrowski (meine Nachfolgerin als Entwicklungshelferin des DED) ihre erste Woche im “Dorf der Freundschaft” zusammen mit mir verbrachte und ich sie so in alle Aktivitäten, die wir im Dorf durchgeführt hatten, einweihen konnte.
  • dass es inzwischen einen Freizeitraum für die Kinder gibt, wo sie zu bestimmten Zeiten Billiard, Tischtennis, Schach oder auch Klavier spielen können. Neu ist auch, dass die Schule einen speziellen Klassenraum bekommen hat, in dem die Schüler Alltagsaktivitäten wie z.B. Kochen erlernen können. Außerdem wurde die Bibliothek erweitert und verbessert. Dies waren Ideen, die im Rahmen der Verbesserungsmeetings entwickelt wurden.
 Schulung für die Mitarbeiter des Gesundheitszentrums der Provinz Ha Thay
Schulung für die Mitarbeiter des Gesundheitszentrums der Provinz Ha Thay
  Die Bücherei des ”Dorfes” ist täglich für alle Bewohner geöffnet und wird von Ms. Linh betreut
Die Bücherei des ”Dorfes” ist täglich für alle Bewohner geöffnet und wird von Ms. Linh betreut
Am meisten hat mir aber die Freude der Kinder und Angestellten bei unserem Wiedersehen gefallen. Dies zeigte mir deutlich, dass es sinnvoll ist, Entwicklungsarbeit in einem Projekt wie dem “Dorf der Freundschaft” durchzuführen. Es hat sich eine schöne, freundschaftliche Beziehung zwischen mir und den Menschen aufgebaut. Mir fiel es sehr schwer, die vielen lieben Menschen zu velassen und ich werde immer an die Zeit im “Dorf” denken, die trotz vieler Arbeit sicher zu den schönsten Zeiten in meinem Leben gehört. Die vietnamesische Therapeutin zeigt einer Mutter mit einer Puppe das physiologisch richtige Halten ihres behinderten Babys
Die vietnamesische Therapeutin zeigt einer Mutter mit einer Puppe das physiologisch richtige Halten ihres behinderten Babys

Ich hoffe und wünsche, dass das “Dorf” weiter so viele Fortschritte macht wie in den letzten Jahren.

Edith Heinlein / Berlin, den 8.11.07
Physiotherapeutin und Entwicklungshelferin des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED)


Durch den Agent-Orange-Schmerz habe ich verstanden, wie grausam der Krieg gewesen sein muss

Phuong Hanh, Computerlehrerin des ”Dorfes”, beschreibt in einem Brief an ihre Mutter Eindrücke aus ihrer Arbeit mit den oft körperbehinderten, gehörlosen oder nichtsprechenden SchülerInnen:

“Weißt du Mama, am Anfang dachte ich, es würde nicht einfach für mich werden, Lehrerin für diese Kinder zu sein. Dann müsste ich immer ein ernstes Gesicht machen, mich korrekt benehmen und vieles mehr.

Computerlehrerin Phuong Hanh

Aber seitdem die Kinder mir ihre Herzensgeheimnisse offenbaren, kindliche Fragen stellen und mich mit ihren unerfahrenen Augen ansehen, fühle ich mich so bewegt.

Die Kinder haben mir beigebracht, dass ich leben sollte, wie ich bin, und dass ich nicht nur egoistisch für mich lebe, sondern auch für Andere.

Ich habe verstanden, dass ich, um eine gute Lehrerin zu werden, erst einmal die Rolle eines Freundes, einer Schwester für die Kinder spielen sollte.

Erinnerst du dich noch daran, dass ich Dir schon mal von den beiden Jungen Tung und Bao erzählt habe? Die beiden können zwar nicht sprechen oder hören, sind aber sehr intelligent und empfindsam. Neulich habe ich eine Liste von Kindern erstellt, die fähig sind, Computer zu lernen. Neben den Namen Bao habe ich ein Fragezeichen gesetzt. Vielleicht wusste Bao in diesem Moment noch gar nicht, wozu ich seinen Namen in die Liste geschrieben habe. Er hat sich aber so sehr darüber gefreut, dass er wegrannte, um Tung zu suchen und ihm zu zeigen, dass sein - Baos - Name in der Liste war.

Ich blickte auf: Freude erschien in Tungs Augen und verschwand schnell wieder. Er starrte mich an. Seine Augen wollten fragen: Lehrerin, warum ist mein Name nicht in der Liste? Seine Frage verwirrte mich. Ich nutzte viel Körpersprache, um zu erklären, aber alles war sinnlos. Er versuchte, mir zu zeigen, was er alles kann, und er meinte, ich glaubte ihm dennoch nicht.

In den nächsten Tagen und Wochen wurde er schweigsamer, balgte sich weniger mit anderen Kindern und wollte sogar mir ausweichen. All das machte mich unruhig. Ich erkannte den Grund, warum Tung traurig war: sein Name war nicht in der Liste. Deshalb dachte er, er sei nicht genauso gut wie Bao.

Du siehst, behinderte Kinder haben auch eine hohe Selbstachtung und vielleicht wollen sie nie, dass sie den anderen Kindern gegenüber im Nachteil sind.

Vor einigen Tagen kam ein Schüler mit traurigem Gesichtausdruck zu mir in die Klasse. Das war Hau, ein Junge mit angeborener Skoliose, aber sehr lernbegierig. Hau gab mir sein Heft und sagte voller Aufregung: Lehrerin, ich möchte nicht mehr mitlernen.

Ich wurde unruhig und fragte mich, woran es liegen möge? Hatte Hau kein Interesse mehr am Computerlernen? Hatte mein Unterricht keine Freude, keine Begeisterung bei den Kindern geweckt? Oder verbargen sich noch andere Gründe dahinter? Ich fragte ihn aus, aber er guckte mich nur an und seine Augen schienen zu weinen. Erst später antwortete er mir: Es liegt nicht daran, dass ich keine Lust mehr habe, Computer zu lernen. Es ist nur, dass ich so müde bin und nicht mitlernen kann. War dieses Lernprogramm zu anstrengend für Hau? Nein, das stimmte sicherlich nicht. Im Unterricht hat Hau seine Aufgaben sehr gut erfüllt, und zu Hause schaffte er sogar mehr als meine Anforderungen. Dann sagte Hau zu mir: Ich habe schon darüber nachgedacht und meine, ich sollte jetzt auf meine Gesundheit achten. Ich fühle mich wohl in der Klasse, aber sehr müde zu Hause. Zurzeit geht es mir nicht so gut, deshalb bekomme ich noch Therapie im Rehabilitationsraum.

Mama, so war das. Weil Hau so schwach war und seine Gesundheit ihm nicht erlaubte, weiter zu lernen. Er hat sich sicherlich viel Mühe gegeben, aber er konnte das nicht schaffen.

Inzwischen ist Hau gestorben und ich fühlte mich sehr traurig. Erst seit ich hier in diesem Dorf arbeite, kann ich verstehen, wie grausam der Krieg gewesen sein muss.

Sein Bild erschien vor mir: ein Schüler, der sich so viel Mühe geben musste, um seinen Körper auf dem Stuhl gerade zu halten. Ein Junge, der beim Vollmondfest gerne ein Foto von sich mit der Sternenlaterne in der Hand machen lassen wollte.

Mehr als ein Mal sagte Hau zu mir: “Kannst du den Ausländer dort fragen, ob er ein Foto von mir machen kann?“ Egal in welcher Körperhaltung und mit welchem Gesichtsausdruck: Hau wollte sich im Bild für jemanden festhalten. Diese Bilder konnten für seine Familie oder für seine Freunde sein. Oder für ihn selbst, damit er sich ab und zu auf dem Foto anschauen konnte.

Alles kehrte zurück in mir. Hätte es keinen Krieg gegeben, hätten Kinder wie Tung, Bao, Hau, Tra oder Giang eines Tages Ingenieure, begabte Musiker, Lehrer oder Ärzte werden können.

Im ”Dorf der Freundschaft” habe ich ganz viele Menschen getroffen, die den Krieg erlebt haben, und auch solche, die noch nie vom Krieg gehört haben. Aber alle kommen zu den Kindern im Dorf, um Schmerzen und Verluste, die die Kinder und ihre Familien bis heute tragen und erleiden müssen, zu teilen. Auch ich: Ich möchte mit den Kindern deren Schmerz teilen.”


Anleitungen - nicht nur zur Gartenarbeit

Freiwillige Mitarbeiter des Gartenprojektes haben für vietnamesische und internationale Helfer Plakate gestaltet, auf denen wichtige Grundsätze der Arbeit im ökologischen Gartenbau erklärt werden:

 

Arbeite mit der Natur - nicht gegen sie

Sieh Lösungen - nicht Probleme

Fang klein an - nimm dir nicht mehr vor, als du bewältigen kannst

Bring Dinge zusammen, die einander unterstützen

Arbeitet zusammen - nicht gegeneinander

Verändere so wenig wie möglich, um so viel wie möglich zu erreichen