Das Dorf der Freundschaft ist ein internationales Versöhnungsprojekt. Es wurde durch den ehemaligen US-Soldaten George Mizo initiiert. Es bietet Menschen, die unter den Spätfolgen des Vietnamkrieges leiden – geistig und körperlich behinderten Kindern und Jugendlichen sowie Älteren – Hilfe und Unterstützung.

Bericht über die Fachtagung “Toxic Legacies – Agent Orange as a Challenge” an der Akademie Tutzing (28. bis 30. Juni 2015)

Felix Klickermann, 13. August 2015

Insgesamt 19 Redebeiträge waren auf der dreitägigen Konferenz zu Agent Orange am Starnberger See zu hören. Im Folgenden sollen einige dieser Beiträge umrissen werden. Abschließend erfolgt eine Bewertung der Veranstaltung.

Redebeiträge

Die Eröffnung der Veranstaltung nahm der Studienleiter der Akademie Dr. Martin Held vor. Dr. Held erinnerte an den Chemieunfall in Schweizerhalle bei Basel, wo es 1986 infolge eines Großbrandes zur Rheinverseuchung kam. Er betonte dabei, dass das Agent Orange-Thema relevant für die gesamte Gesellschaft und Gemeinschaft sei sowie Fragen über unserer Lebenshaltung aufwirft. Dabei wies Held darauf hin, dass es sich bei den Folgen von Agent Orange um eine weiterhin bestehende Problematik und nicht um ein Kapitel der Vergangenheit handele. Als zweiter Redner trat Prof. Dr. Christof Mauch an das Rednerpult. Mauch ist Direktor des Rachel Carson Center for Environment and Society (RCC), das er in seiner Ansprache vorstellte. Das Institut war maßgeblich an der Organisation der Konferenz beteiligt.

Auf Mauch folgte Prof. Dr. Gary Machlis von der University of Idaho. Machlis ist wissenschaftlicher Berater in der Obama-Administration und war  unter anderem für die Untersuchung der Auswirkungen der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko (Deep Water Horizon, 2010)  zuständig. 2011 veröffentlichte er mit anderen Wissenschaftlern das Buch “Warfare Ecology – A New Synthesis for Peace and Security”, das in einer Buchreihe der NATO publiziert wurde. In Tutzing bemängelte Machlis, dass es allgemein keine wissenschaftliche Fachrichtung gebe, die sich der Untersuchung ökologischer Folgen der Kriegführung widme. Gleichzeitig hob er die Relevanz vermehrter wissenschaftlicher Aufmerksamkeit für notwendig, um letztlich internationale Konventionen effektiv durchsetzen zu können. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass eine Zusammenarbeit mit dem Militär wichtig ist, um dessen Personal im Bereich ökologischer Kriegsfolgen zu sensibilisieren.

Am zweiten Konferenztag hielt die Historikerin Prof. Dr. Michelle Mart von der Pennsylvania State University einen Vortrag über den Pestizideinsatz in den USA seit 1945. Dabei konzentrierte sie sich vor allem auf die Geschichte von einem Insektizid (DDT), über das Anfangs Enthusiasmus in der Gesellschaft herrschte. Laut Mart zeigte sich die Presse kaum skeptisch über DDT, während der in den 50er Jahren geläufige Werbeslogan “DDT is good form e-e-e!” sich in die Köpfe der Bevölkerung einbrannte. Nur vier kritische Publikationen über den Pestizideinsatz bis Anfang der 60er Jahre konnte Mart ausfindig machen, unter ihnen das bekannte Werk “Silent Spring” von Rachel Carson im Jahr 1962. Carson kritisierte damals den völlig unkontrollierten und überdosierten Einsatz von Pestiziden in den USA, ohne dabei ein vollständiges Verbot zu fordern. DDT wurde Anfang der 70er Jahre schließlich in den USA verboten, da es sich als umweltschädlich und gesundheitsschädigend herausstellte.

Auf Mart folgte Prof. Dr. Amy Hay von der University of Texas-Pan American mit einem Beitrag zur Diskussion über Agent Orange in den USA in den 60er Jahren. Hay sprach im Vorjahr bereits in einem gemeinsamen Interview mit der Konferenzinitiatorin Nga Le und Christian Lahnstein von einer gemeinsamen Verantwortung der US Regierung, des US Militärs und der Industrie für die Agent Orange-Katastrophe. Das Interview wurde von Prof. Dr. Christof Mauch geführt und in einer Publikation des RCC abgedruckt (Global Environment, No. 7.1 - 2014). Auf der Konferenz beschrieb Hay Agent Orange aus chemischer Sicht als exzellenten Pflanzenkiller, da es die befallene Pflanze komplett abtötet. So manipulierten die in den Herbiziden enthaltenden Auxine hervorragend das Pflanzenwachstum. Dann fokussierte Hay den Widerstand in der Wissenschaften gegen den US-Herbizideinsatz. Sie nannte unter anderem den Chemiker Arthur Galston, der ab 1967 über die Operation Ranch Hand publizierte und sie als “Ökozid in Indochina” bezeichnete. Zu weiteren Kritikern gehörte die an den Herbiziden erkrankte Klägerin Billee Shoecraft, die ein Buch unter dem Titel “Sue the Bastards” veröffentlichte und 1976 an Krebs starb.

Dr. Charles Bailey vom Aspen Institute hielt einen Vortrag über das Agent Orange in Vietnam Program, welches er selbst leitet. Bailey lebte selbst über zehn Jahre in Hanoi und verfolgte dort den langsamen Wandel der US-Diplomatie in Sachen Agent Orange mit. Das Agent Orange Programm hat bis 2015 bereits 115 Millionen USD von der US-Regierung zur Reinigung von kontaminierten Böden und Unterstützung von behinderten Menschen in Südvietnam mobilisiert. Bis 2020 sollen die Hotspots in Bien Hoa, Da Nang und Phu Cat so vollständig gereinigt werden. Die verbleibenden 25 Hotspots soll das vietnamesische Militär dekontaminieren. Im US-Senat setze sich insbesondere Senator Patrick Leahy für das Programm ein, so Bailey.

Heather A. Bowser aus Ohio trat als einziges Agent Orange-Opfer auf der Konferenz auf. Sie gründete mit anderen Betroffenen die Children of Vietnam Veterans Health Alliance (COVVHA). Die Organisation ist seit ihrer Gründung 2012 auf 3000 Mitglieder angeschwellt, der Führungskern besteht aus sechs Personen. Zu den an die US-Regierung gerichteten Forderungen der COVVHA gehören eine groß angelegte medizinische Untersuchung über die Gesundheitsschäden von Kindern betroffener US-Veteranen sowie medizinische Betreuung für erkrankte Kinder betroffener Veteranen. In den USA werden bis heute erkrankte Kinder betroffener männlicher Veteranen in der Regel von jeglichen Zuwendungen ausgeschlossen. Bowser kritisierte diese Politik auf der Tagung scharf.

Rosemarie Höhn-Mizo und Prof. Matthias Leupold traten gemeinsam auf die Bühne. Rosemarie Höhn-Mizo ist die Präsidentin des internationalen Komitees des Dorfes der Freundschaft, sie reiste gemeinsam mit ihren Vereinsmitgliedern Rainer Hub und Birgit Breidenbach nach Tutzing an. Vor dem Konferenzsaal stellte das Team zuvor einen großen Infostand mit Fotografien, Brochüren und Büchern zum Dorf der Freundschaft auf. Höhn-Mizo sprach von ihrem Mann George Mizo, der mit 17 Jahren als US-Soldat in den Vietnamkrieg ging und dort seine ganze Kompanie verlor. Es war eines der Erlebnisse, das George Mizo nachhaltig traumatisierte. Später gründete er mit Rosemarie und anderen Aktivisten das Dorf der Freundschaft. 2002 erlag er den schwerwiegenden Folgen seines Kriegseinsatzes. Prof. Matthias Leupold beschrieb kurz die Entstehung des Filmes Lighter Than Orange, den er mehrere Jahre lang produzierte. Dann wurde Lighter Than Orange vorgeführt.

In einem großen Panel kamen die Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Harald Koch, Prof. Dr. Manfred Mohr, Prof. Dr. Christian Förster und Christian Lahnstein zusammen. Das Panel wurde von dem US-Juristen Kenneth Feinberg geleitet. Koch, Professor an der Humboldt Universität zu Berlin, ging auf zivilrechtliche Haftungsfälle weltweit ein, so etwa den Lago Agrio-Fall in Equador/USA, den KIK-Fall in Pakistan und den Shell Nigeria-Fall. Prof. Dr. Förster von der Universität Heideberg befasste sich mit der Agent Orange-Rechtsprechung in Südkorea, die er zuvor in einem Aufsatz bereits analysiert hat (“Produkthaftungsansprüche koreanischer Soldaten gegen US-amerikanische “Agent Orange”-Hersteller”, publiziert im RIW, Heft 4, 2015). In Südkorea ging eine von 20.000 erkrankten südkoreanischen Kriegsveteranen eingereichte Sammelklage gegen die US-Konzerne Dow Chemical und Monsanto bis 2013 bis zum Supreme Court of Korea. Dieser entschied, dass die Klage in Bezug auf das Krankheitsbild der “Chlorakne” begründet ist und spricht dabei im Rahmen der Kausalität von “typischen”  Erkrankungen. Problematisch bleibt allerdings weiterhin die Vollstreckung derartiger Urteile in den USA, sodass die verurteilten Konzerne sich nach wie vor auf der sicheren Seite wähnen. Prof. Dr. Manfred von der International Association of Lawyers against Nuclear Arms (IALANA) argumentierte mit den Instrumenten des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte für eine Ächtung  des kriegerischen Einsatz von bestimmten Waffentypen wie der Uranmunition. Mohr verwies während seinem Vortrag insbesondere auf das Vorsorgeprinzip. Christian Lahnstein von der Munich RE redete über Entschädigungsfälle seit 1945. Die bisherigen Lösungen etwa in Form von Fonds bezeichnete er als unzureichend bleibend. Wie im Agent Orange-Fall zeigt sich für ihn, dass der rechtliche Punkt der Kausalität manchmal ein K.o.-Kriterium (“dealbreaker”) sein könne.

Den Punkt der Kausalität führte auch Kenneth Feinberg aus, als er über die Schwierigkeiten zur Erzielung einer juristischen Lösung im Agent Orange-Fall redete. Der US-Jurist hat bereits zahlreiche große Schadenhaftungsfälle auf außergerichtlicher Ebene ausgehandelt und dazugehörige Fonds aufgestellt, so auch 1984 durch den Agent Orange Settlement Fund, als sich beide Parteien (US-Veteranen und Agent Orange-Hersteller) nach einem jahrelangen Rechtsstreit auf eine Summe von 180 Millionen USD einigten. Feinberg bezeichnete die wissenschaftliche Unklarheit und die Schwierigkeit der Kausalitätserbringung im Agent Orange-Fall als “Dilemma”. So kam man 1984 zur Lösung des Problems durch Unterstellung einer Kausalität für den Kollektivschaden. Prof. Dr. Koch sagte später, dass dies sowie die Beispiele der koreanischen Rechtsprechung auch zeigen, dass man die Anforderungen an den Kausalitätsnachweis und an das Beweismaß auch anders sehen kann.

Bewertung

Die Organisation der Konferenz war bereits ein großer Akt für das Führungskommitee (Prof. Dr. Amy, Hay, Dr. Martin Held, Christian Lahnstein, Nga Le und Prof. Dr. Christof Mauch). Ihnen ist es gelungen, unterschiedlichste hochkarätige Wissenschaftler und entscheidende Aktivisten für drei Tage in Tutzing zusammenzubringen. Ohne den Einsatz der Beteiligten hätte die Konferenz überhaupt nicht stattgefunden. Die Tagung hat ein gewisses Maß an Vielfalt erreicht, da Menschen aus verschiedenen Bereichen aufeinandertrafen und auch eine Betroffene, Heather Bowser, zu Wort kam. Sichtbar ist im Nachhinein, dass neue Verbindungen und Kräfte zur weiteren Arbeit am Thema Agent Orange entstanden sind. So planen die beteiligten Juristen derzeit eine umfassendere rechtliche Publikation zu dem Haftungskomplex. Bereits bestehende Kooperationen wurden vertieft, so arbeiten die Unterstützer des Dorfes der Freundschaft und daran angebundene Projekte (aus meiner Sicht) enger zusammen als zuvor. Bedauerlich ist, dass kein größerer Band aus allen Konferenzbeiträgen entstanden ist. Eine wirkliche Strategie zur umfassenden Entschädigung vietnamesischer Betroffener und Dekontaminierung von Dioxinhotspots (ein ursprüngliches Ziel der Tagung) konnte zudem nicht erarbeitet werden. An der Tagung zu kritisieren bleibt darüber hinaus weiterhin, dass unter den geladenen Teilnehmern keine vietnamesischen Agent Orange-Opfer oder ein Vertreter der vietnamesischen Seite (etwa VAVA) war. Hier ist ein enormes Potential verschenkt worden, die Ausklammerung der vietnamesischen Seite sendet zudem kein gutes Zeichen nach Vietnam. Allerdings gab es unter mehreren Teilnehmern bereits den Vorstoß, eine weitere Konferenz unter Beteiligung aller Seiten zu organisieren. Deshalb sollten wir die gewonnen Kräfte dafür nutzen um weiter zu machen und nach vorne zu schauen. Unser aller Ziel ist die Verbesserung der Situation der von diesem Krieg weiterhin betroffenen Menschen in Vietnam und überall sonst in dieser Welt. Lasst uns weiter darauf hin arbeiten.